Keine militärische Intervention!
AußenpolitikerInnnen der LINKEN treffen VertreterInnen der gewaltfreien Opposition aus Syrien
UJN 10.11.2012
Wenn politische Konflikte nicht durch zivilgesellschaftliches Aushandeln gelöst, sondern insbesondere durch Eingreifen von außen weiter eskaliert und militarisiert werden, geschieht es unweigerlich, dass Stimmen des Ausgleichs und der Vernunft in den Hintergrund gedrängt werden - ja es droht diesen sogar, ganz unter die Räder des Krieges zu geraten. Zielgerichtet werden dann aufgrund der eigenen Parteinahme Schwarz/Weiß-Bilder befördert, wie etwa das Konstrukt, die syrische Opposition habe monatelang nur friedlich demonstriert und die Gewalt sei ausschließlich von der syrischen Regierung ausgegangen, was bei genauer Analyse der Ereignisse keinesfalls haltbar ist, auch wenn beständig versucht wird, dies als Narrativ zu etablieren.

(v.l.n.r.:) Annette Groth, Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Louay Hussein, Sevim Dagdelen, Mouna Ghanem, Heike Hänsel und Tobias Pflüger
Die Fraktion DIE LINKE lud Anfang November VertreterInnen der gewaltlosen syrischen Opposition ins Karl-Liebknecht-Haus nach Berlin ein, um diesen Kräften, die einen zivilgesellschaftlichen Ausgleich verlangen und die der Repression der syrischen Regierung ebenso ablehnend gegenüber stehen wie der entfesselten Gewalt der bewaffneten Gruppen ("Rebellen"), ein Forum anzubieten. Die Außenpolitikerin Sevim Dagdelen berichtete zu Beginn der Podiumsdiskussion von einer Nahostkonferenz in Istanbul, auf der die These, der arabische Frühling sei von den Golfdiktaturen Saudi-Arabien und Katar regelrecht entführt worden, auf große Zustimmung stieß.
"Furchterregender Zerfall der Zivilgesellschaft"
Der oppositionelle Schriftsteller Louay Hussein, früher Mitglied der kommunistischen Partei Syriens, nahm diese These auf und verwies einerseits auf die einseitige Darstellung des Aufstandes in Syrien und seiner Akteure durch Medien wie dem in katarischem Staatsbesitz befindlichen Sender Al Jazeera, dessen Berichte im Westen häufig ungeprüft übernommen würden, und andererseits auf die Finanzierung der bewaffneten Gruppen durch Saudi-Arabien und Katar. Hussein berichtete von einem "furchterregenden Zerfall der syrischen Zivilgesellschaft entlang ethnischer und religiöser Konfliktlinien". Länder wie die USA und Frankreich, so fuhr er fort, unternähmen nichts, um eine friedliche Lösung des Konflikts zu erreichen - im Gegenteil. Hussein, der als Regierungsgegner lange Jahre im Gefängnis saß, verwahrte sich mehrfach und entschieden gegen Einmischungen von NATO-Staaten, für die offensichtlich "keine andere Lösung außer der des Rücktritts von Assad" denkbar sei. Gleichzeitig diskreditiere der Westen ebenso wie die bewaffneten Gruppen diejenigen syrischen Kräfte, die nicht auf den gewaltsamen Umsturz, sondern auf einen friedlichen Wandel setzen, als von der Assad-Regierung gesteuert. Hussein rief die Lage in Afghanistan in Erinnerung, wo auf Betreiben des Westens mit der Regierung Karsai eine korrupte Machtclique installiert worden sei, die den westlichen Interessen zupass komme. Der Schriftsteller kritisierte weiter, dass der Westen mit seiner auch auf der Konferenz in Doha betriebenen Strategie, gegen die Regierung einen einheitlichen Gegenpol zu bilden, die Vielfalt der Opposition schlicht ignoriere.
Täglicher Bombenterror
Mit deutlichen Worten verurteilte er, dass und in welchem Ausmaß der Bürgerkrieg zwischenzeitlich zudem in einen Bombenterror bewaffneter Gruppen abgleite, der allein in den vergangenen beiden Tagen bei einem halben Dutzend Anschläge zu weit über 50 Toten geführt habe. Für die Anschläge habe die sog. "Freie Syrische Armee" (FSA) die Verantwortung übernommen und Hussein warnte davor, dass auch die Gegenseite mit Bomben in sunnitischen Vierteln reagieren könnte. Hussein sprach dem syrischen Volk ein Widerstandsrecht gegenüber der Assad-Regierung zu, warf aber gleichzeitig dem Westen vor, anstatt die friedliche Opposition zu stärken, habe der Westen von Anfang an auf den gewaltsam erzwungenen Regierungswechsel gesetzt und die bewaffnete Opposition massiv unterstützt. Hussein machte ferner deutlich, dass der Westen sehr wohl direkten Einfluss auf einen Teil der "Rebellen" habe, denn ansonsten könne er sich nicht erklären, warum sich diese teilweise an die auch vom Westen forcierten Waffenstillstände der UN-Vermittler im April und während islamischer Feste gehalten hätten. Immerhin habe sich dadurch in dieser Zeit die Zahl der täglichen Todesopfer von ungefähr 100 auf 20 verringert.
Der Arabische Frühling wurde zum eiskalten Winter
Die Frauenrechtlerin Mouna Ghanem, die sich wie Hussein ebenfalls in dem Projekt "Building the Syrian State" engagiert, kehrte zunächst vor allem die humanitäre Dimension des Bürgerkrieges hervor und rief in Erinnerung, dass meist Frauen und Kinder die ersten und auch unschuldigen Opfer solcher Kämpfe seien. Für sie sei der "arabische Frühling zu einem eiskalten Winter in Syrien" geworden und sie kämpfe mit ihrem "Forum syrischer Frauen für den Frieden" insbesondere gegen das Vergessen und Verdrängen all der Gewalt und des Unrechts, das derzeit in Syrien täglich stattfindet. Sie zeichnete das Bild einer zerrissenen und durch die kollektive Gewalt nachgerade traumatisierten Zivilgesellschaft: "Wir sind für Wahrheit und gegen Gewalt", bilanzierte sie. Auch Mouna Ghanem wandte sich mit Vehemenz gegen die permanente Einmischung von außen in den syrischen Bürgerkrieg und machte hierbei vor allem NATO-Länder sowie Saudi-Arabien und Katar verantwortlich. Von den verhängten EU-Sanktionen seien insbesondere auch einfache Menschen betroffen, das Land werde weiter chaotisiert, staatliche Strukturen befänden sich in Auflösung und es sei nur eine Frage der Zeit, bis der Bürgerkrieg als "Feuer über die Grenzen hinweg ausgreifen" werde.
Neoliberales State-Building-Vorhaben
Mit Verve wandte sich Mouna Ghanem gegen das von Deutschland und den USA lancierte Projekt "The Day After", bei dem - vom Westen unterstützt - die Zeit nach einem gewaltsamen Sturz Assads geplant wird. Die Bundesregierung zeigt dabei keinerlei Hemmungen, mit der aus Steuermitteln finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik, die das Projekt federführend betreut, in Syrien einen gewaltsam erzwungenen Regierungswechsel zu forcieren, der eindeutig im Widerspruch zum Völkerrecht steht.
Hussein kritisierte scharf, dass die dem Projekt "The Day After" zugrunde liegende Geisteshaltung nicht die von Demokraten, sondern diejenige von Putschisten sei. Die Entwicklungspolitikerin Heike Hänsel sah "in Duktus und Sprache" frappierende Parallelen zwischen dem Projekt und den bekannten neoliberalen State-Building-Vorhaben, wie man sie hinlänglich aus der Entwicklungspolitik kenne und von denen gerade wieder eines in Afghanistan gescheitert sei. Sevim Dagdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Bundestagsfraktion der LINKEN, fühlte sich angesichts der Tatsache, dass dieses Projekt ausgerechnet in Berlin konzipiert wird, daran erinnert, dass Deutschland schon einmal mit brachialen Methoden versucht habe (z.B. sog. Kongo-Konferenz 1884/85 in Berlin), seine Interessen und Ordnungsvorstellungen in weit entfernten Ländern durchzusetzen.
Der Außenpolitiker Wolfgang Gehrcke fasste den Konsens der Anwesenden damit zusammen, dass an einer Verhandlungslösung kein Weg vorbei führe und folgerte, dass dafür die Entwaffnung der bewaffneten Gruppen sowie der Rückzug der Armee in die Kasernen notwendig sei. Neben einem sofortigen Stopp der Waffenlieferungen an beide Bürgerkriegsparteien und einer großzügigen Aufnahme syrischer Flüchtlinge müsse vor allem der auf der Konferenz in Genf Ende Juni erzielte Kompromiss mit den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates auch von Deutschland forciert werden: Demnach solle das Land nach einem Waffenstillstand von einer Übergangsregierung gelenkt werden, an der neben der Opposition auch Vertreter der derzeitigen syrischen Regierung beteiligt sein sollten. "Eine Demokratie in Syrien jedenfalls kann nur aus dem Land selbst heraus entfaltet werden", so das Fazit der Oppositionellen.